E i n i g e s  B l i n z e l n
galerie hofmatt
13. April — 12. Mai 2024




Unnütze Sonnenstrahlen in so vielen Tiefgaragen. Unvermessene Lücken. Viel liegt da. Eine Welt die nie ist, immerfort wird. Grund genug zu fotografieren. Letztes Jahr habe ich in der Ausstellung Einiges Blinzeln unter anderem die Geschichte 1925 / Alp Ohr ausgestellt. Pia hat für diese Arbeit das Motiv der «Spurensuche» vorgeschlagen. Ich kann gut damit leben, wenn man sich dabei vorstellt, dass man die Spuren irgendwie selbst legt. Aus einer Archivschachtel in Zürich, auf eine leere Alp und schliesslich in meine Kamera. «Schauen tut man mit den Augen, nicht mit den Händen!» Ich mag mich erinnern, schwach. Aber von vorne.

Ich stehe in der ETH-Bibliothek in Zürich und suche Belege für eine alte Strasse. In einem Stapel finde ich eine Postkarte, Nr. 3589. Ihr Sujet zeigt einen Ort, den ich kenne. Und etwas, das ich dort noch nie gesehen habe. Bin überrascht, beginne zu suchen. Quellen berichten über Jahrhunderte, dort, hoch über dem Dorf, stehe etwas Sagenhaftes. Wie leicht sich Vergangenes findet, wenn man weiss, wonach man sucht. 

Fotografierte Pausen im Schatten, leicht verschwommen. Verlobungsfeiern in Schwarzweiss. Man wollte ihn gesehen haben. 

Im Spätherbst 1925 verschwand der Superlativ dort oben. Mittlerweile kenne ich den genauen Tag. Ich komme gleich dazu.

Schuld am Zuneigegehen auf der Alp Ohr soll der Wunsch gewesen sein, sich ein eigenes Bild zu machen. Oder ein fleissiger Specht. Bis zuletzt hatte man ihn jedenfalls sehen wollen! Das armgrosse Loch kam gelegen. Auswärtige Schaulustige sollen es gewesen sein. Natürlich sollen es Auswärtige gewesen sein. Schaulustig ist sowieso ein gutes Wort. Bin auch schaulustig.

Ein linker Arm durchs Loch, ein ZĂĽndholz, Licht ins dunkle Innere, ein Fotoapparat mit Blitz. GlĂĽhende Hitze. Es muss lange und hell ins Tal geleuchtet haben. Im Melchtal erinnert sich heute niemand mehr. War auch im Kloster. Die Alten im Dorf wissen von Nichts.


Rämistrasse 101. Ich hatte eigentlich etwas ganz Anderes gesucht. Jetzt also: «Der grösste Ahornbaum der Welt». Den Ort auf dem Postkartensujet kenne ich gut. Aber ein besonders grosser Baum steht da sicher nicht. Nicht mehr? Liesse sich fotografieren, was dort oben nicht mehr ist? Ist nichts mehr da? Das Fehlen, von dem ich weiss, ist immerhin ein bisschen da. Vorbei und doch nicht ganz. Er nistet sich ein, der Baum. Nimmt Platz in mir. Magisches Denken.

Ich will das Fehlen sehen, die Lücke vermessen. Suche per Inserat einen bestimmten Menschen und denke, dass ich eigentlich sehr spät dran bin. Der Mann, der sich meldet, mag sich nicht erinnern. Er weiss nichts von irgendeinem Baum im Melchtal und das passt mir gut. Ich fotografiere Paul, geboren im Spätherbst 1925. Am genau richtigen Tag. Verpasst, abgelöst. Anwesende Abwesenheit. «Erinrä isch Luägä midem Chopf.» 
Impressionen der gesamten Ausstellung






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