«Ich kleiner Wildfang»
2022
2022
Klick. Im Sommer 1869 marschiert eine Gruppe «armer Mägde» auf einer Schotterstrasse in Richtung Rotsandnollen.1 Aus existenziellem Geldmangel werden jahrzehntelang angehende Benediktinerschwestern losgeschickt, um in West-, Mittel- und Osteuropa finanzielle Mittel für den Betrieb eines geplanten Klosters zu sammeln. Eine Kirche soll es geben und einen Schlaftrakt und ein Krankenhaus und eine Schule.
Liberale Kräfte in der jungen Eidgenossenschaft würden das ganze Treiben am liebsten verbieten. Aber die Frauen gehen clever vor und schicken riesige Summen auf selbstständig organisierten «Bettelreisen» ins Bergdorf. Sie werden beschimpft, festgenommen, drangsaliert, man schenkt ihnen Kirschen. Über Jahre sehen sie so einen Gutteil Mittel- und Osteuropas. Zuhause wächst die Religionsgemeinschaft rasant. Irgendwann braucht es die «Bettelschwestern» nicht mehr, ihre Mitbringsel wandern bald an kleinere Wände, schliesslich dann in Kisten. Städtenamen auf Rückseiten werden unerklärlich. Ein Kruzifix muss man nicht umdrehen.
Klick. 150 Jahre später verabschieden sich die wenigen verbleibenden Benediktinerschwestern von ihrem Klosterbau und ziehen 2019 in ein moderneres Haus im Kantonshauptort. Es hat dort einen Lift. Und W-Lan. Alte Koffer werden gestapelt, bereits Entdecktes erneut hervorgeholt. Ein lange geöffnetes Dachfenster wird geschlossen, das Klosterarchiv im Estrich von Laub und Wespen befreit. Es findet sich das Tagebuch einer reisenden Schwester aus dem 19. Jahrhundert.
[1] Lederer, Maximilian, «Ich kleiner Wildfang». Die Kollektereisen von Sr. M. Maura Allenspach (1867-1945) in West- und Ostmitteleuropa, Masterarbeit Geschichte Universität Bern, 180 S., Bern 2022.
Liberale Kräfte in der jungen Eidgenossenschaft würden das ganze Treiben am liebsten verbieten. Aber die Frauen gehen clever vor und schicken riesige Summen auf selbstständig organisierten «Bettelreisen» ins Bergdorf. Sie werden beschimpft, festgenommen, drangsaliert, man schenkt ihnen Kirschen. Über Jahre sehen sie so einen Gutteil Mittel- und Osteuropas. Zuhause wächst die Religionsgemeinschaft rasant. Irgendwann braucht es die «Bettelschwestern» nicht mehr, ihre Mitbringsel wandern bald an kleinere Wände, schliesslich dann in Kisten. Städtenamen auf Rückseiten werden unerklärlich. Ein Kruzifix muss man nicht umdrehen.
Klick. 150 Jahre später verabschieden sich die wenigen verbleibenden Benediktinerschwestern von ihrem Klosterbau und ziehen 2019 in ein moderneres Haus im Kantonshauptort. Es hat dort einen Lift. Und W-Lan. Alte Koffer werden gestapelt, bereits Entdecktes erneut hervorgeholt. Ein lange geöffnetes Dachfenster wird geschlossen, das Klosterarchiv im Estrich von Laub und Wespen befreit. Es findet sich das Tagebuch einer reisenden Schwester aus dem 19. Jahrhundert.
[1] Lederer, Maximilian, «Ich kleiner Wildfang». Die Kollektereisen von Sr. M. Maura Allenspach (1867-1945) in West- und Ostmitteleuropa, Masterarbeit Geschichte Universität Bern, 180 S., Bern 2022.