«Gewittergebet»
2019


«‹Als wäre nun die Zeit/Dass die Sprungfedern zerspringen …/ Wo? An welchem Ort?/ In welchem Land des wilden Denkens?/ Ich weiss nur: bei Donner und Dürre./Im Juli, vor dem Gewitter.›/»1

Man würde meinen, das Beschreiben eines Blattes habe in sich schon etwas Wahres. Richtig ist, dass nach dem Schreiben mehr da ist, als davor. Aber es gleicht einem Ritt, das eigene Denken nicht einzuschüchtern mit dieser mechanischen Langsamkeit. Wahrheit im Schreiben soll nichts mit den beschriebenen Dingen zu tun haben müssen, weil es nichts mit den beschriebenen Dingen zu tun haben kann. Aber eine Aufrichtigkeit im Sinne des Immerhins. 

Sich von der Beobachtung an die Hand nehmen lassen dunkt mi unwahrscheinlich schwierig. Mindestens genauso schwierig, zum Schluss tapfer zu sehen, was dabei rausgekommen ist. Nichts Eindeutiges hoffentlich, denn wer genau hinhört muss mir rechtgeben: dem Kopf entspringt mit einem Gedanken nie ein Ton. Die bemerkten Gedanken klingen durch zwei Noten, parallel. In meinem Gewahrsam habe ich sie und das hört man ihnen auch an (Felchen platzen oft die Bäuche auf, da sie von recht weit unten zu schnell hochgeholt werden müssen. Wenn mir etwas aus mir gefällt, dann sind das immer Bilder, die noch zappeln und erzählen von dem Wald in mir). Wer beschreibt, hält sich auf dieser Grenze zwischen der Welt und sich auf und sieht im Einen das jeweils Andere.

Ich besuche Oma und Omi. Es ist Sommer und die flirrende Hitze macht meinem alten Auto zu schaffen. Die Wetterglocken läuten. Der Boden links und rechts der Landstrasse ist aufgerissen und durchzogen von dunkelbraunen Blitzen. Die viel beschriebene deutsche Provinz – wenn sie irgendwo stattfindet, dann hier. Ich mag dieses Deutschland sehr und seit einer Weile verstehe ich es nicht mehr. Beim Kaffee erzählt mir Oma von früher. Und von einem Koffer, der stets in der Diele bereit stand und im Notfall mitgenommen worden wäre. Verstaut darin alles Schriftliche, dessen man sich gewiss war. Eine Art Pioniersonde für den Neuanfang. Ich hoffe, dass es bald regnet.

[1] Marina Zwetajewa über Boris Pasternak, in: Zwetajewa, Marina, Lichtregen, Berlin 2020, S. 470.